Freundschaft & Tod

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um Sterben, Tod und Trauerarbeit.

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

(Mascha Kalèko)

Dieser Text entstand vor 4 Jahren, hat aber nicht an Aktualität verloren.

Heute jährt sich der Tod von March Storm zum 8.Mal.

„Wenn man einen engen Freund verliert, weil er stirbt, gleicht das erst mal einen Schock, den man glaubt nicht überwinden zu können. Am Anfang fühlt es sich an wie Liebeskummer, wie wenn dein Partner mit dir Schluss macht, ganz plötzlich und unerwartet. Er war Teil deines Lebens und nun ist er fort. Die musst deine täglichen Abläufe, deine Gewohnheiten ändern, weil sie von diesem Menschen geprägt waren, musst dir neue suchen und nach vorne blicken, die Lücke schliessen, die dieser Mensch hinterlassen hat.

Trauert man einer verlorenen Liebe nach, so besteht immer noch ein letzter Hoffnungsfunke, alles möge wieder so werden wie es einmal war. Oft ein Trugschluss, aber unter Umständen hilfreich sich über den ersten Schock hinweg zu trösten und wenn es einem besser geht, hat man vielleicht schon wieder festgestellt, dass auch andere Mütter schöne Kinder haben.

Wenn jemand stirbt, dann kommt er nicht wieder.

Es gibt keinen Hoffnungsfunken, dass alles wieder so wird wie es einmal war.

Aber es gibt etwas anderes.

Die Tatsache, dass dieser Mensch immer ein Teil von uns und von unserem Leben sein wird. Die gemeinsamen Erinnerungen, Momente, die man geteilt hat, Sachen über die man gemeinsam gelacht hat.“

Dies ist ein Teil der Grabrede, die ich vor 4 Jahren auf der Beerdigung einer meiner besten Freundinnen gehalten habe. Sie war ganz plötzlich kurz nach ihrem 33.Geburtstag an einer Gehirnblutung gestorben, unvorhersehbar, einfach vorbei, weg.

Meine Freundin hiess Margit, ein traditioneller österreichischer Name, aber da sie eine Weile in England studiert hatte, nannten sie irgendwann alle March.

Sie war ein sehr lebensfroher Mensch, der über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis verfügte und auch im Bezug auf Männer nichts anbrennen lies. Bei ihrer Beerdigung waren auffällig viele gut aussehende Typen.

Darüber musste ich innerlich schmunzeln.

Obwohl ich sehr traurig war.

Wie ich im Laufe der Trauerzeit festgestellt habe, ist dieser Zustand keineswegs paradox, sondern meiner Meinung nach unglaublich heilsam.

Wenn zum Beispiel ihre Mutter auf Facebook ein Foto postet und nette Worte dazu schreibt, denke ich unter Umständen: Gott, sie hätte sich gehasst auf diesem Foto, wenn sie jetzt wirklich irgendwo herumsitzt, wird sie denken:

„Mama, wieso dieses Foto, da bin ich ja echt mal Scheisse getroffen!“

Gedankengänge, die ja nur zeigen wie gut wir uns kannten und wie ähnlich wir uns in vielen Dingen waren.

Das hab ich auch erst so richtig kapiert nachdem sie nicht mehr da war.

March hatte wie ich ständig neue Ideen und Projekte, die sie kreativ umsetzte.

Einmal bauten wir gemeinsam aus ganz viel Essen Pepperland, das Fantasieland aus dem Beatles-Film Yellow Submarine und luden unsere Freunde ein, es mit uns zu verspeisen.

Ein andermal erfand sie die Grüne-Punkte-Krankheit und das kam so:

Ich veranstaltete zu der Zeit eine Partyreihe in Wien und ein Kostümfest stand bevor.

March wusste nicht als was sie sich verkleiden sollte, aber da grün ihre absolute Lieblingsfarbe war, schnitt sie aus grüner Klebefolie hunderte Punkte in verschiedenen Größen aus und beklebte sich von oben bis unten damit. Im Laufe dieser wilden Partynacht verzierte sie die meisten der anwesenden Gäste ebenfalls mit einem grünen Punkt, sodass auf allen entstandenen Fotos immer mindestens ein grüner Punkt zu sehen ist.

Schnell breitete sich die Krankheit weiter aus. Bald gab es eine Facebook-Seite auf der immer mehr begeisterte Anhänger Fotos von gesichteten grünen Punkten posteten und die sind überall zu finden, ob auf einer Parkbank im österreichischen Burgenland oder in einer thailändischen Garküche, man muss nur genau hinsehen.

An einem faulen Samstag im Winter 2011 hatten March und ein Freund ganz spontan die Idee sich konsequenterweise einen grünen Punkt tätowieren zu lassen und tatsächlich fanden sie noch am selben Tag einen  Tätowierer der sich bereit erklärte.

Mehr Freunde zogen nach und im Sommer 2011 waren bereits sieben Leute unheilbar angesteckt.

Dann passierte das Unfassbare.

Nach fast 14 Tagen im Koma schlief March für immer ein.

Schon während dieser krassen Zeit zwischen Hoffnung, Verzweiflung, Resignation und Ohnmacht beschlossen wir die Grüne-Punkte-Krankheit weiter auszubreiten.

Grün ist die Farbe der Hoffnung, des Lebens und die, die nicht mehr da sind, bleiben nur in unserer Erinnerung lebendig wenn wir sie nicht vergessen.

Wie man dieses Andenken im digitalen Zeitalter allerdings pflegen soll, daran schieden sich bald die Geister.

Was passiert nach dem Tod mit dem Facebook-Profil?

Schon während March noch im Krankenhaus lag, hatten wir eine geschlossene Gruppe gegründet um den schier unüberschaubaren Bekanntenkreis auf dem Laufenden zu halten.

Die Gruppe existiert immer noch und dient Freunden, die in unterschiedlichen Städten wohnen nach wie vor als Kommunikationsplattform zur Trauerarbeit.

Die Pinnwand ihres Profils wurde in der Folgezeit hauptsächlich von Freunden genutzt um dort Songs und Botschaften zu posten, Gedanken an sie.

Für mich hatte das von Anfang an einen komischen Beigeschmack.

Irgendwie pathetisch auf eine Art die mir nicht gefiel.

Ich habe meine Erinnerungen, meine Fotos – die immer noch bestehende digitale Existenz fand ich befremdlich und hätte mir ein Löschen des Profils sehr gewünscht. Ausserdem tauchten in der Seitenleiste immer wieder alte Statusmeldungen von March auf und es ist eher unlustig dort „Aua,mein Kopf!“ zu lesen, wenn jemand an einer Gehirnblutung gestorben ist, auch wenn sie damals nur zu viel gesoffen hatte.

Zusammen mit einigen anderen Befürwortern machte ich den Vorschlag das Profil zu löschen und musste dafür unerwartet herbe Kritik einstecken, die teilweise emotional stark überzogen war. „Ich würde sie aus meinem Leben löschen wollen“ und solchen Quatsch, selbst ihre Mutter sprach sich dagegen aus, insofern war schnell klar, dass Widerstand zwecklos war.

Man einigte sich auf den sogenannten Trauermodus, den Angehörige bei Facebook beantragen können, alleine die Tatsache, dass so etwas existiert, löst bei mir einen unangenehmen Schauer aus. Wahrscheinlich ist es nur eine logische Konsequenz unserer modernen Kommunikationsgesellschaft, dass Freunde sich auch an etwas wie einem Facebook-Profil und den damit einhergehenden Erinnerungen wie Nachrichten, Fotokommentare oder Gefällt-mir-Angaben festhalten möchten, für mich persönlich ist das weder greifbar noch nachvollziehbar, schliesslich gab es abseits des Internets genug Bestrebungen ihr Andenken zu bewahren.

So liessen wir bei ihrer Beerdigung 50 grüne Luftballons steigen, ihr Grabstein wurde mit grünen Punkten verziert und einer von uns hat es tatsächlich heimlich geschafft vor der Beisetzung einen grünen Punkt auf die Urne zu kleben, ich habe es mit eigenen Augen gesehen!

Wir bedruckten T Shirts und Bettwäsche mit grünen Punkten, bastelten eine Homepage und ich beschloss selbst damit anzufangen grüne Punkte zu tätowieren. Ich besorgte mir Nadeln, Handschuhe und Farbe und übte auf meinem eigenen Körper.

Nachdem ich meinen Oberschenkel und beide kleine Finger mit ziemlich ansehnlichen grünen Punkten (bzw. Herzen/Kreisen) verziert hatte, wagte ich mich an fremde Haut und tätowierte in einer Wiener Galerie an einem Abend im Januar 2012 zehn Personen. Besonders schön fand ich, dass auch Leute darunter waren, die March nicht einmal persönlich gekannt hatten, aber die Idee mochten und Teil dieser Geschichte sein wollten. Wie auch meine Eltern. Mein Vater ist 74, meine Mutter 72 und ohne lange zu fackeln, liessen sich beide be-punkten.

Auch sie hatten March nie getroffen, wussten aber was sie mir bedeutet hatte.

Letztes Jahr habe ich in Berlin und Wien Dinner mit einem Grüne-Punkte-Menü veranstaltet und einige der Rezepte sowie die Geschichte dazu sind auch in meinem Kochbuch Sophias vegane Welt vertreten.

Ich werde weiterhin grüne Punkte in die Welt hinaustragen und jeden mit meinen Nadeln malträtieren, der den Mut dazu hat.

Ich brauche etwas echtes, unter der Haut, ein Bild an der Wand, nichts was ich mit einem On- und Off-Knopf ausschalten kann.

Eine Stoffblume, die sie im Haar getragen hat, die Kappe, die ich mir während unseres tollen Istanbul-Urlaubs gekauft habe, die Erinnerung an den Mann, den wir gemeinsam verführt haben.

Das ist das echte Leben, etwas was mir keiner wegnehmen oder auf einen anderen Modus konfigurieren kann.

Scheiss auf Facebook!

Manchmal zumindest.