Verlorene Schätze Dinner zum #abfallfreitag
Letzten Freitag, am 15.12.2019 fand unser opulentes Verlorene Schätze Dinner in Berlin statt.
Schon letztes Jahr hatten wir im Rahmen der Aktionswoche der BSR Berlin zum #Abfallfreitag für mehr Wertschätzung und Müllvermeidung eine Veranstaltung kreiert. Beim Brotdinner in der Endorphina Bäckerei widmeten wir uns dem kostbaren Backgut in vielen Gängen.
Wir, das sind Linda Lezius vom kreativen Food Lab und Event Agentur Wild& Root und meine Wenigkeit.
Unterstützt wurden wir bei der Umsetzung des Dinners von der Berliner Stadtreinigung, Trenntstadt Berlin, meinen tollen Kolleg*innen bei Isla Coffee sowie eine schlauen Expert*innenrunde.
Gerettete Lebensmittel kamen von Bauernhof Rixmann, von Plantage und von SirPlus.
Im Rahmen eines Vier-Gänge Menüs behandelten wir vier Komponenten von Lebensmittelverschwendung bzw. Wertschätzung:
- Auf dem Acker
- In der Produktion
- Im Einzelhandel/ Zuhause
- Fairer Handel/ gerechte Verteilung
Sabine und Georg Rixmann brachten Kürbisse von ihrem Bauernhof mit und zwar solche, die nicht in den Handel gehen, da sie aufgeplatzte Stellen oder Vernarbungen haben, z.B. durch Mäusebisse.
30 % der verschwendeten Lebensmittel gehen bereits auf dem Feld verloren. Die Gründe dafür sind die Normierungs-Richtlinien, die der Einzelhandel sich selbst auferlegt und der Landwirtschaft das Leben schwer macht. Es gibt keine Verbote für zu krumme Möhren oder zu kleine Äpfel.
Das Landwirte-Paar erklärte den Gästen, dass die deutsche Bürokratie es zudem erschwert selbst erzeugte Lebensmittel zu spenden und dies für Bauern ein Minusgeschäft bedeuten würde.
Verrückte Welt. Ich frage mich dann immer weshalb es nicht möglich ist solche Gesetzgebungen, die ja ganz offensichtlich aus einem ganz anderen Kontext oder einer anderen Ära kommen anzupassen bzw. flexibler zu gestalten. Ist es Lobbyismus? Faulheit?
Als ersten Gang gab es einen leckeren Baby Boo / Casperita Kürbis, der ein bisschen nach Maronen schmeckt mit einer pikanten Füllung aus Okara, roten Zwiebeln und herbstlichen Gewürzen.
Zum Thema Produktion hatten wir Amélia Lance von den TofuTussis zu Gast. In der kleinen Tofu-Manufaktur in der Markthalle Neun fällt wöchentlich jede Menge Okara an, so nennt man das Nebenprodukt bei der Tofuproduktion, die ausgepresste Bohnenmasse nach der frischen Sojamilch-Herstellung. Geschmacklich eher neutral, wird Okara vor allem in der japanischen Küche vielseitig eingesetzt: verbacken, zu Mehl getrocknet oder zu Patties geformt.
Für den zweiten Gang entschied ich mich für eine Abwandlung eines Rezepts aus der 5 Elemente Küche, dass normalerweise mit Tofu zubereitet wird: Angebraten, mit einer Menge Frühlingszwiebeln und Sojasoße abgelöscht.
Es soll das Immunsystem stärken und Erkältungskrankheiten vorbeugen.
Die Wurzeln der Frühlingszwiebeln (gut gewaschen) gab es knusprig frittiert dazu!
Dazu gab es verschiedene gekochte Getreide:
Urkorn, Roggen und Dinkel.
Gewürzt mit einigen Komponenten, die wir im Tagesbetrieb bei Isla Coffee aus Nebenprodukten herstellen:
- fermentierte Zitronenrinde (die Zeste wandert in den Zitronenkuchen, der Saft in unser Zitrone-Ingwer-Heißgetränk)
- fermentierte Paprikapaste ( aus den Abschnitten und dem Kerngehäuse der Paprikas)
- gepickelte Kräuterstiele ( von Dill, Petersilie, Koriander)
Getreide bildet bis heute die Lebensgrundlage für einen Großteil der Weltbevölkerung.
48% der gesamten Nahrungsenergie und 43% der Gesamtproteinzufuhr werden aus Getreide bezogen. Ernährungsgesellschaften weltweit empfehlen einstimmig den täglichen Verzehr von Vollkorngetreide als Basis für eine gesunde, ausgewogene Ernährung.
Trotzdem essen wir heutzutage in Deutschland sehr wenig Vollkorngetreide und wenn dann meist in verarbeiteter Form wie etwa als Brot. Getreide essen erfordert Kauarbeit, eine Herausforderung für die Gäste, genauso wie zu versuchen die Unterschiede der Sorten herauszuschmecken.
Zudem gab es dazu Klee und Rucola aus meinem Balkon-Eigenanbau.Klee stärkt das Immunsystem und hat eine entzündungshemmende Wirkung.
Danach erwartete die Gäste ein Experiment. Nach vorheriger „Vorwarnung“ bekamen sie Kostproben abgelaufener Lebensmittel in Form von Aufstrichen und pflanzlichen Yoghurts. Das Mindesthaltbarkeitsdatum war zwischen einer Woche und einem Jahr überschritten, aber wie wir (hoffentlich mittlerweile hier) alle wissen stellt das MHD kein Verzehrdatum dar.
Zu den Aufstrichen gab es knusprige Brotchips aus Endstücken der Brotes die Isla Coffee von der Bäckerei Albatros bezieht.
Sascha Rieth ist Nachhaltigkeitsbeauftragter bei der Berliner Supermarkt-Kette Biocompany, die ziemlich vorbildlich handelt wenn es um Lebensmittelverschwendung geht:
Dort werden müdes Gemüse und bald ablaufende Kühlwaren erst mit 20 %, dann 50 % Rabatt angeboten, danach – und das ist im Einzelhandel rar – dürfen Mitarbeiter*innen Waren mit Nachhause nehmen, was dann noch übrig bleibt wird an Die Tafeln und Foodsharing gespendet.
Zudem werden die Filialleiter angehalten schon bei der Bestellung möglichst ökonomisch einzukaufen und Biocompany arbeitet eng mich lokalen Landwirt*innen zusammen um regionalen Bio-Bezug zu fördern und bietet mit langen Vertragslaufzeiten Planungssicherheit.
Konventionelle Supermärkte können sich hiervon sicherlich noch ein paar Scheiben abschneiden.
Für den Hauptgang bogen sich die Tische wortwörtlich unter folgenden Köstlichkeiten:
- Brotlinge, mein Lieblingsverwertungsrezept aus altbackenem Brot
- Kartoffeln aus dem Ofen
- gebackene Pastinaken (SirPlus) und kleine Sellerieknollen (Plantage), die wir im Ganzen servierten und die Gäste selbst „zerlegen“ ließen, wer sagt, dass pflanzliche Küche immer in mundgerechten Stücken serviert werden muss
- rotes Sauerkraut, hergestellt aus roten Spitzkohlköpfen vom Bauern Rixmann, die leichte Erfrierungen davon getragen hatten
- Stücke vom selben Kohl, für 24 Stunden mariniert in Shoyu und Olivenöl, langsam im Ofen geschmort
- gerettete müde Ofentomaten mit Rosmarin
- Rohkostsalat aus Kohlrabi, Apfel und Sellerie als Gegenentwurf zum im Winter nicht regionalen immer gleichen Salatgarnitur-Entwurf (Kopfsalat, Tomate, Gurke)
- leicht fermentierte Rote Bete und Schwarzer Rettich (Plantage)
- zweierlei Grünzeug aus der Pfanne: das Gewohnte (bunter Mangold) und das Ungewohnte (Kohlrabi und Bete-Blätter, Endiviensalat, Pasitnakengrün)
- unkonventionelle Möhren, rauchig mariniert
- eingelegte Mangoldstiele mit Trüffelöl mariniert und aufgehangen
Gerade war noch etwas Platz fürs Dessert, das sich dem Thema Fairer Handel/ Wertschätzung widmete.
Philipp Reichel, Co-Inhaber von Isla Coffee, Betreiber der Rösterei Vote Coffee und Initiator des Berlin Coffee Festivals sprach nicht nur über Kreislaufwirtschaft, sondern auch – anhand von Kaffee über den Handelsweg, was gerechte Bezahlung bedeutet und wieso Fairtrade zwar schon mal gut ist, er und sein Team den Bauern aber einen noch höheren Preis zahlen.
Das bedeutet zum Beispiel, dass ein Bauer im konventionellen Handel für sein Kilo Kaffee 2,50 € bekommt, bei einem Fairtrade Verband 3,62 € und bei Vote Coffee 7,89 €.
Für das Dessert hatte ich die drei Komponenten verarbeitet, die diese Erzeugungsproblematik teilen und die bei den Meisten von uns täglich auf dem Speiseplan stehen wobei die Mehrheit der Konsument*innen die Augen verschließt vor Kinderarbeit, moderner Sklaverei und Ausbeutung der Erzeuger*innen:
Alle drei Komponenten kamen in geretteter Form zum Einsatz:
- Kaffee (Kaffee-Gewürz-Sirup aus Kaffeeresten vom Tagesbetrieb bei Isla Coffee)
- Bananen (reduzierte, überreife Bananen)
- Schokolade (vegane Schoko-Weihnachtsmänner, gefunden bei SirPlus)
…serviert als Bananenmuffin mit Schokomousse (auf Tofu-Basis mit gerettetem Tofu von den TofuTussis) und Kaffee-Sirup in den Kaffeeform-Tassen, die aus Kaffeesatz hergestellt werden.
Um zu verdeutlichen wie unfair die weltweite Verteilung von Geld und Rohstoffen wirklich ist, bekamen einige Gäste größere (Cappucinotassen), einige kleinere (Espressotassen) Dessertportionen.
Natürlich gab es Nachschlag.
Ich denke niemand musste hungrig nach Hause gehen.
Dazu servierte Philipp einen Kaffee-Kombucha den das Kaffee 9 zusammen mit Gut Gut produziert, köstlich.
Am Ende des Abends durften sich alle Gäste einen Kürbis und ein paar Lager- und Verwertungstipps aus meinem Buch „Zero Waste Küche“ mit nach Hause nehmen.
Wir waren fix und alle nach dieser intensiven und umfangreichen Veranstaltung, die wir sicherlich in einer ähnlichen Form noch mal umsetzen werden.
Wir bedanken uns bei allen Partnern und Expert*innen und hoffen dadurch einen Beitrag zu mehr Wertschätzung geleistet und Inspiration gegeben zu haben. Und bei Annabell Sievert für die wunderschönen Fotos!