Warum ich dem Winter nicht mehr davon laufe…
Manchmal habe ich das Gefühl, dass niemand so sehr gehasst wird wie der Winter.
Er wird für alles verantwortlich gemacht: Erkältungen, Müdigkeit, Frostbeulen.
Viele Menschen in meinem sozialen Umfeld entfliehen dem Winter jedes Jahr in wärmere Gefilde wie Bali, Vietnam, Thailand oder Sri Lanka. Weil „sie es einfach nicht aushalten!“.
Mir tut der Winter fast ein bisschen leid, was mir aber noch mehr Leid tut, sind die Konsequenzen dieses Luxus-Leids.
Diese und unsere kompliziert gewordene Beziehung zur kalten Jahreszeit möchte ich heute mal etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Ich möchte das Thema Winterdepression hier mit aufnehmen, das in der ersten Version dieses Artikels von mir leichtfertig unter den Tisch gekehrt wurde. Ich möchte niemanden diskriminieren, der an Depressionen leidet oder den Eindruck entstehen lassen, dass ich diese Form der psychischen Erkrankung nicht ernst nehme.
Wenn es Menschen gibt, denen eine Fernreise Linderung ihrer Depressions-Symptome verschafft, ist das für die Betroffenen sicherlich zuträglich. Da ich selbst Menschen in meinem engen persönlichen Umfeld habe, die an Depressionen leiden und weiß, dass die Dunkelheit des Winters die Symptome verstärken kann, nehme ich dieses Thema sehr ernst.
Aber ich gehe im Umkehrschluss nicht davon aus, dass alle Menschen, die im Winter Fernreisen machen unter Winterdepression leiden. Sondern, dass es sehr viele Menschen gibt, die diese Reisen tätigen weil sie es sich schlichtweg leisten können, von einer immer noch bommenden Flug-Industrie dazu verführt werden, es von erfolgreichen Influencern als Lifestyle-Must vorgelebt bekommen und die unangenehmen Folgen für den Klimawandel sich leicht wegschieben lassen.
Hier gibt es weiterführende Informationen und Links zum Thema Winterdepression.
Ich kann verstehen, dass es unheimlich verlockend ist lieber an einem weißen Standstrand zu liegen als in einer grauen Großstadt in gefrorene Hundehäufchen zu stolpern.
Wir leben in einer grenzenlosen Welt. Grenzenlos für die, die es sich leisten können einfach mal einen Fernreise-Flug zu buchen und in eine andere Klimazone zu reisen.
Stichwort Klima. In der aktuellen Podcast-Folge mit Nachhaltigkeitsbloggerin Anna Schunck spreche ich über das Dilemma Mehrweg-Kaffeebecher zu benutzen aber gleichzeitig um die Welt zu jetten.
Dieser Artikel erklärt anschaulich wie viel CO2-Ausstoß ein Langstreckenflug verursacht und was man wirklich tun müsste um diese Verschmutzung zu kompensieren.
Alleine vegan leben reicht hier nicht aus.
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen. Ich war dieses Jahr zweimal in New York.
Als ich den Flug für die erste, private Reise schon längst gebucht hatte, bekam ich beruflich ein Angebot im März in der James Beard Foundation zu kochen. So etwas schlägt man nicht aus.
Es war bis jetzt die bedeutendste berufliche Erfahrung, die ich am Herd machen durfte.
Aber ich habe wirklich Bauchschmerzen bei der Vorstellung zweimal im Jahr so einen langen Flug zurückzulegen.
Bauchschmerzen schützen nicht vor Klimawandel, aber man kann zumindest eine Kompensation zahlen für seine Verschmutzung und auf MyClimate Projekte unterstützen, die Klimageschädigten helfen.
CO2-Emissionen sind, ähnlich wie Klimawandel im Allgemeinen, etwas was wir nicht optisch wahrnehmen können, deshalb ist es auch – anders als etwa industrielle Tierhaltung – etwas, das man leicht verdrängen kann.
Die Langzeitfolgen allerdings gehen uns alle an.
Letzte Woche habe ich meine LeserInnen gefragt was sie am Winter MÖGEN und fast 90 % der Antworten lauteten SCHNEE.
Blöd nur, dass es den fast gar nicht mehr gibt bei uns.
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts nehmen auf der gesamten Nordhalbkugel Schneefälle, die Ausmaß der Schneedecke und die Dauer der Schneesaison ab. Seit 1901 ist die Jahresdurchschnittstemperatur etwa in den Alpen um anderthalb Grad gestiegen – doppelt so stark wie im Rest Deutschlands. Die Winter werden wärmer und nasser, mit viel Regen. Sehr kalte Winter werden seltener. Das bedeutet, dass auch weniger Schnee fallen wird. Die durchschnittliche Schneehöhe wird um 80 Prozent zurückgehen. Das heißt, mit dem Klimawandel wird es immer unwahrscheinlicher, dass bei uns im Winter Schnee liegt.
So ne Scheiße.
Schnee ist toll. Romantisch. Wattig. Kinder können stundenlang darin spielen, man kann Skifahren, Snowboarden, auf zugefrorenen See Schlittschuh laufen und anschliessend im Warmen heiße Schokolade trinken. Oder Glühwein.
Doch die Realität sieht anders aus, wir müssen uns Alternativen zur Schnee-Romantik überlegen.
Und vor allem müssen wir aufhören so viel herum zu gurken.
Bewusster Konsum müssen wir zukünftig auch bei unserem Reiseverhalten betreiben, ob uns das schmeckt oder nicht, andernfalls zerstören wir diesen schönen Planeten weiterhin nachhaltig.
Lasst uns aufhören den Winter so zu verabscheuen, er ist ein Teil unseres Jahreskreislaufes und sollte auch als solcher erlebt werden. Wir sind privilegierte Mitteleuropäer, die das ganze Jahr davon profitieren, dass wir ein relativ stabiles Klima und im Vergleich mit verschwindend harmlosen Naturkatastrophen zu kämpfen haben.
Hier meine persönlichen Top 5 den Winter lieben zu lernen:
– Selfcare: Der Winter ist die Zeit des Rückzugs, des Runter fahren, der Entdeckung der Langsamkeit.
Im Sommer haben wir das Gefühl jeden Abend rausgehen zu müssen, im Winter ist es voll okay zuhause zu bleiben und es sich gemütlich zu machen.
Die Dänen haben dafür extra das Wort „Hygge“ erfunden, mach es nach.
Nimm dir vor mehr zu lesen, alte Filme zu kucken oder etwas selbst zu machen.
Gönn dir eine Thai-Massage, gehe in die Sauna, ins Day-Spa oder ins Hammam.
– Comfort Food: Natürlich darf leckeres Essen nicht fehlen. Der Winter ist die Zeit der Suppen, Eintöpfe, Quiche, Wurzelgemüse oder selbstgemachte Pommes aus dem Ofen, knackiger Coleslaw, Sauerkraut, Pasta mit (im Sommer) getrockneten Pilzen und Kräutern.
Versuch mal nur regionale saisonale Produkte zu kaufen, da gibt es eine ganze Menge.
Und wenn du Bock auf etwas Exotisches hast, wie wäre des dann mit einer Bio-Ananas oder -Mango statt gleich selber hinfahren zu müssen wo sie wächst?
Leiste dir solche Ausnahmen und genieße sie ganz bewusst.
– Wenn du es gar nicht mehr zuhause aushältst, buche alternativ ein Reiseziel in Europa, das mit dem Zug erreichbar ist oder für das du zumindest keinen Langstreckenflug benötigst.
2017 war ich auf Sizilien und es war bezaubernd.
15 Grad, Espresso in der Sonne und Markteinkäufe der Artischocken und Orangenernte vor Ort.
Mittlerweile versuche ich auch Kurzstreckenflüge möglichst zu vermeiden.
Nach meiner Buchabgabe habe ich mir eine Nacht in einem Forsthaus-Hotel nahe Berlins gebucht, dort fahren wir mit dem Regionalzug hin und im Januar geht es auf die Insel Rügen, an die stürmische Ostsee. Gut einpacken, läuft!
Anregungen bietet auch das Anderswo-Magazin für nachhaltiges Reisen.
– In gute Winterkleidung investieren.
In Skandinavien sagt man: „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“. Und glaubt mir -seit ich in einer Beziehung mit einem Skandinavier bin, hat sich meine Wahrnehmung noch mal ordentlich geändert. In Island sind es die Menschen gewöhnt auch im Winter Eis essen zu gehen, will sagen:
– Mach deine Stimmung nicht so vom Wetter abhängig.
Ich verspreche dir – je weniger du drüber nachdenkst, desto weniger nervt es dich.
Das beste Beispiel sind Kinder. Ihnen ist es Scheißegal ob es draußen regnet oder schneit – im Gegenteil, sie finden solche Wetterphänomene total aufregend und WOLLEN raus!
Pfützen springen und Schlitten fahren war doch das Beste als Kind, oder?
Stürz dich in spannende berufliche Projekte, verabrede dich mit Freunden (wenigstens manchmal) und versuche aktiv mal eine Woche nicht übers Wetter zu jammern.
Du wirst merken, es ist leichter als man denkt.