Warum „Nein“ mein neues Lieblingswort ist

Ich sitze auf dem Balkon einer beschaulichen Pension im Berchtesgadener Land und lasse meinen Blick über Obstwiesen und eine Ponyweide schweifen. Zwischen den umliegenden Bergen steht die Hitze, es ist erst später vormittag und doch zeigt das Thermometer schon 28 Grad.

Gerade jetzt, in diesem Urlaub, finde ich die Zeit aufzuschreiben, was ich schon lange loswerden wollte.

Dieses Jahr trägt für mich eindeutig eine Überschrift von der ich am 01.01.2018 noch keine Ahnung hatte:

Lerne „Nein“ zu sagen um dir treu zu bleiben und für deine Werte einzustehen.

Ich bin seit 2011 selbstständig und noch nie habe ich so oft „Nein“ zu Projekten und Angeboten gesagt wie dieses Jahr.

Warum das so ist?

Ich bin konsequenter geworden bei der Auswahl der Unternehmen mit denen ich zusammen arbeite.

Sprich, jene die ich auf meinem Blog* Social Media Kanälen* Podcast verlinke, für die ich Rezepte entwickle und auf Veranstaltungen auftrete.

Ich arbeite nicht mehr mit Unternehmen, die:

  • nicht fair produzieren
  • sexistische oder in anderer Weise beleidigende Werbung machen
  • mit Testimonials arbeiten, die sich öffentlich sexistisch, rassistisch oder anderweitig beleidigend äußern
  • aufwendige, nicht recycelbare Plastikverpackungen verwenden
  • Einwegprodukte vertreiben, die in wiederverwertbarer Form existieren
  • zu den Konzernen Coca-Cola, Danone, Unilever, Kellogg’s, Mars, Mondelez, Nestlé, PepsiCo, General Mills oder Associated British Food gehören

Ich habe kein Interesse an Produkten wie:

  • Nahrungsergänzungsmittel
  • Diät- und Hochleistungssportprodukte
  • exotische Superfood-Produkte mit hoher Ökobilanz
  • stark verarbeitete Convenience-Produkte
  • Fertiggerichte
  • qualitativ minderwertige Wegwerfprodukte
  • Produkte in nicht recycelbaren Einzelportionsverpackungen

Also Produkten, die keinen Bezug zu meiner kulinarischen Philosophie als Köchin haben.

Diese lautet:

Ich koche auf pflanzlicher Basis mit bevorzugt regionalen und saisonalen Lebensmitteln aus biologischem Anbau.

Stark verarbeitete Ersatzprodukte halte ich als Ernährungsbasis genauso wenig für notwendig wie überteuerte, mit schlechter Ökobilanz produzierte und importierte Spezialprodukte, die oft als „Superfoods“ angepriesen werden.

Durch meine Arbeit möchte ich Menschen ermutigen sich Fähigkeiten der Nahrungszubereitung anzueignen und Freude daran zu entwickeln, weshalb Fertig- und Halbfertig-Produkte mich nicht interessieren.

Portionierte Einzelverpackungen und Verpackungen, die einfach durch umweltfreundlichere Alternativen ersetzt werden könnten, würde ich weder empfehlen noch kaufen.

Ich engagiere mich gegen Überkonsum, Lebensmittel- und Ressourcen-Verschwendung.

Da (kulinarische) Inhalte zu erzeugen und mit meiner Stimme auf Events aufzutreten mein Beruf ist, biete ich diese Tätigkeiten im Rahmen meiner Verfügbarkeit nur dann an wenn sie gegen Bezahlung erfolgen.

Unbezahlt arbeite ich nur für NGO’s, Sozial- und Umweltprojekte.

In letzter Zeit häufen sich bei mir und meinen Blogger*in-Kolleginnen Anfragen für Events, Konferenzen und Workshops, die uns unter dem Deckmantel eines Green- oder Social Washing Themas wie #Fairfashion, #Nachhaltigkeit oder #Empowerment verkauft werden und uns ein inhaltlicher Mehrwert vermittelt wird.

Bei genauerer Betrachtung wird allzu oft unsere Expertise und Social Media Reichweite benutzt um einerseits Fachwissen für die veranstaltenden Unternehmen heranzuziehen oder schlichtweg Werbung für die eigene Marke zu machen.

Die Preisgabe dieses Fachwissens nennt man auch Consulting.

Es geht um Social Media Strategien, Ideen für Inhalte und PR-Kampagnen.

Consulting ist zurecht eine bezahlte Tätigkeit und Blogger*innen tappen allzu oft in die Falle sich für ein paar Goodies und eine schöne Essenseinladung Fachwissen entlocken zu lassen.

Die digitale Welt gestaltet sich immer komplexer und selbst wir, die wir in ihr arbeiten, lassen uns immer wieder überlisten und überreden.

Zu vielen Einladungen sage ich mittlerweile „Nein“ oder frage nach einem Honorar wenn es ganz klar um die Vermittlung meiner Expertise geht.

In den seltensten Fällen kommt es daraufhin zu einer Zusammenarbeit.

Ob sich diese Entscheidungen finanziell tragen?

Nicht wirklich. Für mich wird es immer schwieriger im Internet Geld zu verdienen, da die Firmen mit denen ich arbeiten möchte oft kleine Unternehmen mit wenig Budget sind und große Konzerne nicht meinen ethischen Ansprüchen genügen.

So habe ich dieses Jahr Anfragen von Renault, Zalando, Nestle und Netto abgelehnt, die mir fünfstellige Honorarbeträge beschert hätten.

Hätte ich nicht nach wie vor eine mietgünstige Wohnung, könnte ich mir diese Entscheidungen nicht leisten oder müsste mir einen zusätzlichen Job suchen.

Mein Durchschnittsgehalt ist garantiert niedriger als das vieler meiner Leser*innen.

Ich bin es gewöhnt die Welle der Unbeständigkeit zu surfen, die das finanzielle Auf und Ab einer Selbstständigkeit oft mit sich bringt, doch auch wenn ich damit sicherlich entspannter umgehen kann wie viele Andere und nicht an Reichtum interessiert bin, wünsche ich mir mittelfristig etwas mehr Sicherheit und Stabilität.

Was das für die Zukunft bedeutet?

Ich möchte mein eigenes Unternehmen gründen, sprich einen eigenen Laden in Berlin eröffnen.

Analog arbeiten und die Social Media Tätigkeit reduzieren.

Jahrelang hat es mir viel Spaß gemacht überall zu kochen und ich habe tolle, inspirierende Menschen kennengelernt, nun ist es an der Zeit weniger „on the road“ zu sein und stattdessen Menschen an meinen Ort einzuladen.

Ich wünsche mir eine Küche in der ich mich als Köchin weiterentwickeln und verbessern kann um meine Philosophie von unkomplizierter und doch raffinierter pflanzlicher Küche jenseits von Junk Food und Ersatzprodukte-Küche zu promoten.

Ein Ort mit großem sozialem und ökonomischem Nachhaltigkeitskonzept, das eine Vorbildwirkung darstellen und Nachahmer*innen finden kann.

Das Restaurant, das es noch nicht gibt, wenn ich nach meinem veganen Lieblingsrestaurant in der Hauptstadt gefragt werde. Ich werde es selbst eröffnen.

Ich möchte ein Team aufbauen, das loyal und eigenverantwortlich kreativ arbeitet und Freude daran hat. Eine der größten Herausforderungen in der Gastronomie.

Viele dieser Entscheidungen haben mit Selbstwert, allgemeinen Wertevorstellungen und der Definition der eigenen Arbeit zu tun.

Mit jedem „Nein“ lerne ich besser zu formulieren wer ich bin, wer ich zukünftig sein möchte und was meine beruflichen Ziele sind.

Insofern bin ich dankbar für dieses Jahr mit all seinen Herausforderungen, weil es mich stärker macht und reifer (klingt abgedroschen, ist aber so).

Es tut gut Entscheidungen zu treffen, auch oder gerade wenn diese Konsequenzen mit sich bringen, anstatt jahrelang in Situationen festzustecken in denen man sich kein Stück bewegt oder gegen seine Überzeugungen handeln muss.

Ich kann es nur empfehlen.

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An dieser Stelle möchte ich mich bei folgenden Menschen bedanken:

Haukur, meinem größten Unterstützer, Lieblingsmensch und Proud Feminist

Esme und Elena, meinen Küchenhelferinnen, die mich durch ihre Neugierde und Begeisterungsfähigkeit bestärken, diese Weg weiterzugehen

Nina, die verrückt genug ist mit mir ein Unternehmen zu gründen

Julia, Sandra, Annabell und Anna, mit denen ich das Buch „Zero Waste Küche“ produziert habe

Serin, die meinen Podcast schneidet

Theresa, die immer ein kritisches offenes Ohr hat

und all den anderen tollen Menschen, die zu meinem Netzwerk und Freundeskreis gehören!

You know who you are.

Headerfoto: Lars Walther