Warum Selbstliebe der Shit ist!

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

Wir alle kennen diesen Spruch als Bibelzitat in- und auswendig.

Doch was bedeutet das eigentlich im Alltag?

Wie geht Selbstliebe und wo fängt Nächstenliebe an?

Ich bin überzeugte Atheistin:

Ein gekreuzigter Sohn, eine Jungfrauenempfängnis und Blut als Wein – das alles ist mir eine Nummer zu schräg.

Damit kann ich nichts anfangen. Aber das heißt nicht, dass ich Grundbotschaften, die alle Weltreligionen geprägt haben, nicht auf mein Leben anwenden würde.

Besser gefällt mir als Alternative wenn Drag-Superstar RuPaul am Ende jeder Folge von RuPaul’s DragRace sagt: „How the hell are you gonna love somebody if you can’t love yourself ?“

„Can I get an Amen?“

Und daraufhin alle TeilnehmerInnen des Wettbewerbs in ihren unfassbaren Outfits euphorisch brüllen: „AMEN!“.

Die Botschaft ist dieselbe: Nächstenliebe setzt Selbstliebe voraus.

Heute, mit 37, ist die Liebe zu mir selbst ist auf einem ganz okayen Level.

Egal ob es um Äußerlichkeiten oder innere Werte geht.

Ich schaffe es 90% der Zeit meinen Körper gut zu finden wie er ist und bin nur manchmal zu ungeduldig, zu streng oder zu hart mit mir selbst.

Gesunder Ehrgeiz in gesundem Maß ist etwas, das einen antreibt und beruflich weiter bringt, schlägt man damit über die Stränge, reibt man sich auf. Enthusiasmus und Produktivität können im Übermaß destruktiv sein.

Ich muss immer noch lernen, auch mal mit dem Status Quo zufrieden zu sein. Beruflich und privat.

You never stop learning.

Was Äußerlichkeiten angeht, habe ich einen langen Weg hinter mir.

Wie die meisten Menschen/ Frauen, habe ich (zu) lange gedacht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen zu müssen.

Als Teenager fand ich meine Brüste zu klein, polsterte sie mit Push-Up Bhs auf um dieses „Defizit“ zu vertuschen.

Ich fand mich „zu fett“ und kämpfte bis in meine Mitt-Zwanziger mit allen möglichen Essstörungen, inklusive Abführmittel nehmen und Finger in den Hals stecken.

Mein erster Freund war hierbei keine Hilfe. Er pinnte ein Foto von Salma Hayek an seine Wand und gab mir das als Ziel seiner Erwartungen vor. Ich setzte mich wahnsinnig unter Druck, war voll von Minderwertigkeitskomplexen und glaubte ersthaft diesem Hollywood-Standard entsprechen zu müssen.

Wenn ich mir heute Fotos von damals ansehe, blickt mir ein hübsches, aber total unsicheres Mädchen entgegen, schlank an der Grenze zum Untergewicht.

Ich wog um die 52 kg und dachte ich wäre fett.

Das war Ende der 1990er Jahre, als der Beautywahn noch nicht im Internet stattfand.

Der Druck war trotzdem schon da.

Mein Ex-Freund war übrigens auch nicht gerade ein Brad-Pitt-Double, nur hatte er einen wesentlich stärkeren Ego als ich, heute würde ich seinem damaligen Ich gehörig die Leviten lesen.

Über die letzten 15 Jahre habe ich mich sehr mit mir selbst arrangierte und versuche heute manchmal sogar bewusste meine persönlichen Grenzen auszuloten.

So ließ ich mir letzten Winter das erste Mal IN MEINEM LEBEN die Achselhaare wachsen und fand es überraschend gut. Mit 13 hatte ich angefangen aus gesellschaftlichem Zwang jedes auftauchende Härchen zu rasieren ohne weiter darüber nachzudenken. Ich musste erst 36 werden um meine eigene Entscheidung zu treffen.

Vor zwei Monaten beschloss ich meine kurzen Haare noch kürzer zu schneiden um nach 24 Jahren (!!!) zu meiner Naturhaarfarbe zurück zu kehren. Ein drastischer Schritt, zumal ich nicht wusste ob und wie viele graue Haare sich unter dem aufgehellten Blond verbargen. Zu meiner freudigen Überraschung gar keine. Wer selbst schon einmal blond gefärbt war, weiß vielleicht wie süchtig diese Haarfarbe macht, da sie immer scheint wie eine kleine Sonne, den Teint strahlen lässt usw.

Es war kein leichter Abschied und ich fror auch erstmal am Kopf, aber mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt und schaue mal wie sich die Farbe bei erster Frühlingssonnen-Einwirkung noch so entwickelt, ich hoffe sie werden noch heller, ich bin halt doch eine unverbesserliche Blondine…

Das Vorher-Nachher-Foto wurde zum Instagram-Post mit den meisten Likes seit ich mein Profil habe. Mir ist schon klar, dass extreme Veränderungen super spannend sind, doch kurz war ich schon frustriert und dachte: „Da koche ich jeden Tag tolles buntes Essen und dann schneide ich mir einfach die Haare und alle finden das viel spannender…“

Auf eine weitere optische Mutprobe stellte mich dieses Jahr der Verlust meines Vorderzahns und der lange mühsame Prozess ein Implantat im Frontbereich gesetzt zu bekommen. Da das temporäre Provisorium mich sowohl beim Sprechen behinderte und ich damit auch nicht essen konnte, entschied ich mich irgendwann zum „Mut zur Lücke“.

Wenn ich berufliche Termine mit Zahnlücke wahrnahm, erklärte ich am Anfang kurz die Bewandtnis und dann war das Thema auch erledigt.

Übrigens – am 12.12.2017 bekomme ich meinen finalen Zahn, das wird ein Fest!

Ich führe diese Beispiele auf um zu verdeutlichen, dass es manchmal helfen kann sich einfach nicht so viele Gedanken zu machen und auf die eigene innere Stimme zu hören. Egal ob es um das Thema Körperbehaarung, den Druck einem Schönheitsideal zu entsprechen oder innere und äußerliche Makel geht.

Makel sind voll okay und interessant und ein Teil des Lebens.

Ich weiß, das klingt einfacher als es ist, aber manchmal helfen ganz einfache Tricks:

Wenn du dich das nächste Mal über eine deiner Charaktereigenschaften aufregst, versuch nicht so streng mit dir zu sein. Lächle und sei gnädig.

Mir hilft das sehr. Statt mich selber zu schimpfen, denke ich mittlerweile:

„Hach, typisch ich..“ und mache weiter.

Wenn du ein Körperteil nicht magst, sagen wir deine Füße – sei lieb zu ihnen:

Bade sie, massiere sie jeden Abend vor dem Schlafengehen oder wenn du kannst – lass sie dir massieren – und fass sie einfach öfters an, freunde dich mit ihnen an.

In der Arte Mediathek gibt es gerade einen Film in dem junge Frauen andere junge Frauen über ihren Körper und ihre Sexualität befragen.

Ein wunderbares Werk, das ich gerne mit 16 schon gesehen hätte.

Rede mit deinen FreundInnen über diese Themen – sich öffnen hilft. Trau dich.

Mich hat damals eine Freundin vor dem Abdriften in eine schwerer Essstörung gerettet, weil ich mich ihr anvertraut habe.

Ich bin eine große Verfechterin von Komplimenten – egal ob im Freundeskreis, in der Familie oder in der Beziehung – baut euch auf, sagt euch öfters was ihr toll aneinander findet.

Egal ob es der rote Pulli, das leckere Mittagessen oder die emotionale Unterstützung eures Gegenüber ist, die euch beeindruckt, teil das mit- das gibt Kraft!

Eigentlich wollte ich heute auch gleich das Thema Nächstenliebe mit ab frühstücken, aber ich weiß, dass wir alle nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit haben, widme ich dem bald einen eigenen Blogpost.

Habt euch lieb, einen wunderschönen Sonntag!

Fotos: Jule Müller

Outfit: T-Shirt von Badass Prints

BTW -Die Entscheidung keine Orgasmen vorzutäuschen und eine selbstbestimmte, erfüllte Sexualität zu leben, ist pure Selbstliebe 😉